Predigt am 4. Februar 2024

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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei dem Evangelisten Markus im 4. Kapitel:

26 Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft

27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.

28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.

29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Herr, öffne unsere Herzen, dass wir dein Wort verstehen und aus ihm leben lernen. Amen. 

Liebe Gemeinde, 

wie haben Sie heute Nacht geschlafen? Ich hoffe gut. Oder hatten Sie keine gute Nacht? Es gibt schließlich viele Dinge, die einen guten Schlaf be- oder gar verhindern können: Kleine und große Sorgen, die einen nicht loslassen. Gedanken, die einem unaufhörlich im Kopf herum kreisen. Körperliche Beschwerden, die schon das Liegen unerträglich machen. Dabei ist ein guter Schlaf so wichtig. Denn im Schlaf kommt der Körper zur Ruhe, so dass wir am nächsten Morgen mit neuer Kraft ans Werk gehen können. Außerdem trennt der Schlaf einen Tag vom anderen. Er gibt uns die Möglichkeit, den alten Tag und damit auch Vergangenes hinter uns zu lassen und mit dem neuen Tag auch tatsächlich neu zu beginnen. Und schließlich: Im Schlaf bekommen wir Abstand – zu Ereignissen, zu anderen Menschen und nicht zuletzt zu uns selbst, so dass wir sie und uns am nächsten Morgen mit anderen Augen und in einem anderen Licht betrachten können. 

Der Predigttext bzw. das Gleichnis, das Jesus seinen Jüngern einmal erzählt hat, berichtet von einem Mann, der schlafen konnte, der sogar gut schlafen konnte. Er verrichtet seine Arbeit und legt sich schlafen. Auch am nächsten Morgen steht er auf, verrichtet seine Arbeit und legt sich schlafen. Jeden Tag neu, jeden Tag wieder. Und nebenbei wartet er ab. Er muss abwarten. Denn es gibt Dinge, die er nicht in der Hand hat. Es gibt Dinge, bei denen er nur daneben stehen und zuschauen und über die er nur staunen kann. Dieses Gleichnis strahlt für mich eine große Ruhe und Gelassenheit aus. Keine Langeweile, keine Routine im negativen Sinn, sondern Ruhe und Gelassenheit – etwas, das ich bei mir und anderen häufig vermisse. Denn der Alltag ist oftmals hektisch und man selbst alles andere als ruhig und gelassen. Viele Menschen fühlen sich nur noch getrieben. Sie lassen sich treiben und sie treiben selbst – sich und andere. Der Mann im Gleichnis scheint das nicht zu tun. Aber warum nicht? 

Ich denke, weil diese Mann zwei Dinge kann – oder gelernt hat. Er kann unterscheiden und er kann loslassen. Der Mann kann unterscheiden, was zu seinem Aufgabenbereich gehört und was nicht dazu gehört. Zu seinem Aufgabenbereich gehört das Säen im Frühjahr und das Ernten im Herbst. Und ich bin mir sicher, der Mann ist auch in der Zwischenzeit nicht untätig, sondern hegt und pflegt das von ihm Gesäte, hackt und jätet Unkraut. Denn auch das gehört zu seinem Aufgabenbereich. Nicht dazu gehört jedoch das Wachsen und Gedeihen. Da kann der Mann nur abwarten. Da muss er loslassen und vertrauen. Und er kann das. Er kann loslassen und vertrauen, weil er weiß, dass auch nach dem Aussäen für die Saat gesorgt wird – nicht nur von ihm, sondern auch von der Erde, die sie umgibt. Der Mann weiß, dass es einen Raum gibt, der die Saat mit Nährstoffen versorgt und in den hinein sie ihre Wurzeln ausstrecken kann. Und deshalb kann er getrost loslassen. Und schlafen. Gut schlafen. Denn wer schlafen will, muss loslassen – sich selbst und andere, die Verantwortung und die Kontrolle, die Sorgen und die Ängste. Ohne Loslassen kein Schlaf. 

Ich muss zugeben, die Sache mit dem Loslassen fällt mir schwer. Es fällt mir schwer, Dinge einfach abzuwarten. Zu akzeptieren, dass sie Zeit brauchen. Und währenddessen darauf zu vertrauen, dass sie werden – auch ohne mein Zutun. Vielleicht kennen sie das auch von sich. Und dann kommt mir nicht selten jenes kurze Gebet in den Sinn: „Herr, gib mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Und gibt mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Denn ich möchte auch so leben wie der Mann im Gleichnis. Ich möchte so leben wie er, weil ich spüre, dass es ihm gut tut. Ich möchte schlafen und aufstehen, meine Arbeit verrichten, aber auch loslassen und abwarten – in dem Vertrauen, dass es gut wird. In dem Vertrauen, dass Gott es gut macht – mit mir und mit meinem Leben und mit der Welt. Und dass er mich, mein Leben und die ganze Schöpfung zum Ziel bringt. Denn in dem Gleichnis ist nicht die Rede davon, dass die Ernte missraten oder gar ausbleiben könnte. Die Ernte bzw. das Ziel steht außer Frage. „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“, heißt es zu Beginn der Bibel. Solange die Erde steht, wird sie nicht aufhören, den nötigen Raum zum Wachsen und Gedeihen zu geben, das Ihre dazu beizutragen, dass es eine gute Ernte gibt. Und solange wir leben, wird auch Gott nicht aufhören, für uns zu sorgen. Und er wird uns zum Ziel bringen. Darauf können wir vertrauen. Und in diesem Vertrauen können wir loslassen. In diesem Vertrauen können wir uns hinlegen und schlafen, wieder aufstehen und unsere Arbeit verrichten, uns wieder hinlegen und schlafen. Jeden Tag neu, jeden Tag wieder. 

Das Gleichnis macht Mut zum Vertrauen in Gottes heilsame Ordnungen – für unser Leben und für die gesamte Schöpfung: arbeiten und ruhen, wachen und schlafen, säen und ernten auf der einen Seite und wachsen und gedeihen auf der anderen Seite. Denn Gottes heilsame Ordnungen umfassen immer beides: die Aktivität und die Passivität, den Anspruch an uns und den Zuspruch für uns. Und das ist gut so. Das tut uns gut. Es geht nicht darum, die Hände in den Schoß zu legen und die Verantwortung für sich und die Schöpfung anderen zu überlassen. Es geht nicht darum, nur zuzuschauen, was aus dem eigenen Leben und aus der Welt wird. Wir können und wir sollen unser Leben und die Welt um uns herum gestalten. Wie sollen tun, was nötig und was uns möglich ist. Aber zu Gottes heilsamen Ordnungen gehört eben auch das andere: das Abwarten und das Loslassen. Und auch das ist gut so. Auch das tut uns Menschen gut – uns selbst und anderen. Denn indem ich loslasse, kann ich mich erholen und neue Kräfte sammeln. Vielleicht entdecke ich auch ganz neue Seiten und Möglichkeiten an mir. Indem ich loslasse, gebe ich aber auch anderen die Möglichkeit, sich einzubringen und zu entfalten, neue Impulse zu setzen und eine Entwicklung voranzubringen. Indem ich loslasse, gebe ich anderen Kräften Raum und Zeit, damit Fruchtbares geschehen kann. 

Gottes heilsame Ordnungen umfassen immer beides: die Aktivität und die Passivität, den Anspruch an uns und den Zuspruch für uns. Auch das Ausruhen und Loslassen haben ihr göttliches Recht, sind von Gott gewollt. Das festzuhalten ist der Bibel so wichtig, dass sie gleich zu Beginn sagt: In sechs Tagen erschuf Gott die Welt, aber am siebten Tag ruhte er von allen seinen Werken. Wie würde sich mein Leben wohl verändern, wenn ich Gottes heilsame Ordnungen annehmen könnte? Wenn ich auch ausruhen und loslassen könnte – und zwar nicht mit schlechtem Gewissen und heimlicher Sorge im Herzen, sondern im Gegenteil: mit Gottes Segen und Zuversicht im Herzen? 

Vielleicht würde sich das Leben morgens nach dem Aufwachen dann ein bisschen so anfühlen, wie es die deutsche Schriftstellerin Luise Rinser in ihrer Erzählung „Septembertag“ beschrieben hat: 

„Heute fürchte ich nichts und wage es, mich zu freuen, weil der Morgen frisch und bitter riecht, weil der Himmel makellos ist, weil eine späte rosa Nelke aufgeblüht ist am schon verdorrenden Busch, weil ich den Tod nicht scheue, weil ich lebe, weil ich auf eine Art lebe, die nur ich weiß und kann, ein Leben unter Milliarden, aber das meine, das etwas sagt, was kein anderes sagen kann. Das Einmalige eines jeden Lebens. Es macht heiter, zu wissen, dass jeder Recht hat mit sich selbst. Schön ist es, älter zu werden, erlöst von sich, von der gewaltigen Anstrengung, etwas zu werden, etwas darzustellen in dieser Welt. Gelassen sich einfügen, irgendwo, wo gerade Platz ist, und überall man selbst zu sein und zugleich weiter nichts als einer von Milliarden. Dies alles, in vielen Worten gesagt, dauert zu fühlen drei, vier tiefe Atemzüge lang.“ 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Heiland und Herrn.