Predigt am 24. März 2024

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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 14. Kapitel des Markusevangeliums:

1 Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie Jesus mit List ergreifen und töten könnten.

2 Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe.

3 Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.

4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls?

5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.

6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.

7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.

8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.

9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

Herr, öffne unsere Herzen, dass wir dein Wort verstehen und aus ihm leben lernen. Amen. 

Liebe Gemeinde, 

„was das kostet!“ Diesen Ausruf kennen wir alle. Diesen Ausruf haben wir alle schon gehört – vielleicht auch schon selbst gesagt oder zumindest gedacht. Vielleicht auch in der Form: „Was die kostet!“, nämlich die gerade aktuelle Krise bzw. alle aktuellen Krisen zusammen – sei es die Klimakrise, die Ukrainekrise und infolgedessen die Energie- und Wirtschaftskrise, die verschärfte Nahostkrise oder welche Krise auch immer. Was das kostet an Geld und Ressourcen, an Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen, an Zusammenhalt und Vertrauen, an Zukunftschancen und an Menschenleben. 

„Was das kostet!“ Dieser Ausruf findet sich schon zur Zeit Jesu. Nach seinem Einzug in Jerusalem ist Jesus zusammen mit seinen Jüngern bei einem Mann namens Simon zu Gast. Während die Männer essen, kommt eine Frau herein. Sie hat eine Flasche mit unglaublich kostbarem Öl dabei. Damit salbt sie Jesus. Einige der Anwesenden empören sich über diese Verschwendung und sagen: „Was das kostet! Das Öl hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden können.“ Jesus aber nimmt die Frau in Schutz und sagt: „Lasst sie in Ruhe! Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ 

„Was das kostet!“ Wann immer dieser Satz fällt, steht die Frage im Raum: „Ist das gerechtfertigt?“ Damals fragten sich die Jünger: „Ist es gerechtfertigt, dass die Frau sich diesen Liebesdienst an Jesus so viel kosten lässt, wo es doch so viele Arme gibt, die mit dem Geld hätten satt gemacht werden können?“ Heute fragen wir: „Ist es gerechtfertigt, dass wir uns die Krisen unserer Zeit so viel kosten lassen?“ Und auch aus unserem ganz persönlichen Leben kennen wir die Frage: „Ist das gerechtfertigt?“ Ist s gerechtfertigt, was wir uns unsere Arbeit oder unseren Beruf, ein Hobby oder Ehrenamt, eine Beziehung oder eine Freundschaft, eine Aufgabe oder eine Verpflichtung kosten lassen? 

„Ist das gerechtfertigt?“ Bei der Beantwortung dieser Frage erinnert Jesus die Menschen damals und uns heute daran, dass man nicht die sprichwörtlichen „Äpfel und Birnen“ miteinander vergleichen kann. Daher unterscheidet Jesus deutlich zwischen Almosen auf der einen Seite und „guten Werken“ auf der anderen Seite. Zu beidem ist ein frommer Jude verpflichtet. Er soll einerseits den Armen Almosen geben, d.h. Geld. Er soll anderseits aber auch „gute Werke“ tun. Diese waren in erster Linie nicht durch Geld, sondern durch persönlichen Einsatz gekennzeichnet und konnten jedem zuteilwerden. Wenn zum Beispiel eine Frau heiratet, soll man ihren Hochzeitszug begleiten. Und wenn jemand gestorben ist, soll man ihn bestatten. In diesem Sinn tut die Frau in der Geschichte ein „gutes Werk“ an Jesus. Denn sie lässt Jesus durch ihr Salben schon im Voraus das zuteilwerden, was jedem Menschen zusteht und was sich vermutlich jeder von uns wünscht: ein würdiges Begräbnis. 

Man kann „Äpfel und Birnen“ nicht miteinander vergleichen. Daher darf man sie auch nicht gegeneinander ausspielen. Das „gute Werk“ der Frau an Jesus ist gerechtfertigt – ebenso wie die Almosen für die Armen gerechtfertigt sind. Der Einsatz für jedes einzelne Menschenleben ist gerechtfertigt – ebenso wie der Blick auf die wirtschaftliche Zukunft eines ganzen Landes. Die Krisenhilfe hier vor Ort in ihren unterschiedlichen Formen ist gerechtfertigt – ebenso wie die Hoffnung auf Unterstützung, die andere, ärmere Länder bei der Bewältigung ihrer Krisen in uns setzen. Und auch die redensartlichen „Äpfel und Birnen“ unseres ganz persönlichen Lebens – Arbeit, Hobby, Beziehungen und Verpflichtungen – sind alle irgendwie gerechtfertigt. 

Und genau darin liegt das Problem. Vieles ist gerechtfertigt, aber nicht allem können wir gerecht werden. Das führt uns die Geschichte von der Salbung Jesu unmissverständlich vor Augen. Das Geld, das die Frau für das kostbare Öl ausgegeben hat, stand ihr anschließend nicht mehr zur Verfügung, um es an die Armen zu verteilen. Vielleicht hatte sie trotzdem noch genug Geld für das eine oder andere Almosen, aber das Geld, das sie in das Öl investiert hat, konnte sie nur einmal ausgeben. In Bezug darauf musste sie Prioritäten setzen, musste sie sich entscheiden. 

Auch wir – jeder für sich und wir alle zusammen als Gemeinde, Kirche oder Gesellschaft – können oft nicht allem gerecht werden. Wir können es versuchen. Ja. Aber es wird uns nicht immer gelingen, sondern unsere Kräfte, unsere Zeit, unsere Mittel, vielleicht auch unseren guten Willen übersteigen. Und daher müssen wir – wie die Frau in der Geschichte – Prioritäten setzen, müssen wir uns immer wieder entscheiden. Wir sollten uns nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Und in dem Wissen, dass wir durch unsere Entscheidungen auch schuldig werden können. Schuldig an dem, was ebenso gerechtfertigt gewesen wäre, was wir aber verschoben oder ganz gelassen haben. Schuldig auch an den Folgen, zu denen eine falsche Entscheidung unter Umständen geführt hat. 

Wir können schuldig werden. Und wir werden schuldig – immer wieder. Im Kleinen wie im Großen. Das gehört zu unserem Menschsein dazu. Denn wir sind begrenzt. Unser Wissen ist begrenzt. Unsere Einsicht ist begrenzt. Unser Können und Vermögen ist begrenzt. Unsere Mittel und Möglichkeiten sind begrenzt. Damit müssen wir leben. Und damit wir damit leben können, hat Gott uns zwei Dinge gegeben: Zum einen ist dies die Verantwortung, die wir für unser Tun und Lassen übernehmen können. Das ist eine Würde, die Gott keinem anderen Geschöpf hat zuteilwerden lassen außer dem Menschen. Und zum anderen ist dies die Vergebung, um die wir Gott und einander bitten und die wir einander gewähren können. Damit der, der schuldig geworden ist, trotz seiner Schuld weiterleben kann. 

Für viele Menschen beginnt mit dem heutigen Palmsonntag die Passionszeit im engeren Sinn. Passionszeit heißt übersetzt „Leidenszeit“. Sie hat ihren Namen daher, dass wir uns in dieser Zeit besonders an das Leiden Jesu erinnern. Vielleicht ist diese Zeit aber auch in dem Sinn eine „Leidenszeit“, dass wir an der Welt, so wie sie ist, und an uns Menschen, so wie wir sind, leiden. An der Welt mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrem Unfrieden und an uns Menschen mit unseren Unzulänglichkeiten und Begrenztheiten. Und vielleicht erleben wir dies alles gerade besonders intensiv. Aber vielleicht müssen wir das auch so deutlich erleben, um das andere dann auch wieder feiern zu können – das, was nach der Passionszeit kommt: nämlich Ostern. Oder anders gesagt: Die Tatsache, dass da noch etwas kommt. Die Tatsache, dass diese Welt mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrem Unfrieden und unser Leben mit seinen Unzulänglichkeiten und Begrenztheiten nicht alles ist. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Heiland und Herrn. Amen.