Predigt am 18. Februar 2024

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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 4. Kapitel des Matthäusevangeliums:

1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.

2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.

3 Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.

4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«

5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels

6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«

7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

8 Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit

9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«

11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.

Herr, öffne unsere Herzen, dass wir dein Wort verstehen und aus ihm leben lernen. Amen. 

Liebe Gemeinde, 

die Präsidentschaftswahl in Amerika im November ist schon jetzt in aller Munde. Auch als ich den heutigen Predigttext gelesen habe, kam sie mir in den Sinn. Allerdings nicht das Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden, sondern der Wahlkampfslogan von Barak Obama aus dem Jahr 2008: „Yes We Can! – Ja, wir können! Ja, wir können es!“ Ich denke, dieses „Yes We Can!“, dieses „Ja, wir können es!“ ist das Problem bei jeder Versuchung. 

Denn Versuchungen liegen immer Bereich des Möglichen, im Bereich des Machbaren, im Bereich des Erreichbaren. Das gehört zu ihrem Wesen. Das macht sie aus. Das macht sie überhaupt erst gefährlich. Etwas, da für mich unmöglich oder unerreichbar oder unüberwindbar ist, stellt für mich keine Versuchung dar, weil dieses Etwas nicht in meinem Einflussbereich liegt. Aber das, was für mich möglich, was für mich machbar, was für mich erreichbar ist – das ist der Stoff, aus dem meine Versuchungen gestrickt sind. Die Versuchung besteht nicht in der reich gedeckten Festtafel, die ich in einem Fernsehfilm sehe, sondern in dem Stück Kuchen, das direkt vor mir auf dem Tisch steht. Und das ich essen könnte oder eben nicht. Die Versuchung besteht nicht in Worten, die ich irgendeinem Prominenten gern einmal ins Gesicht sagen würde, sondern in dem Kommentar, der mir im Gespräch mit meinem Gegenüber auf der Zunge liegt. Und den ich aussprechen könnte oder eben nicht. Die Versuchung besteht nicht in der Villa oder in der Yacht, die ich gern besitzen würde, sondern in den vielen großen und kleinen Angeboten, vor denen ich in den Geschäften und Supermärkten stehe. Und die ich mir kaufen oder einfach nehmen könnte oder eben nicht. Versuchungen sind machbar. Darin liegt ihre Gefahr. Der Versucher will nur das, was ich kann. Er will nur das, was mir möglich ist. Und manchmal muss ich mich dafür noch nicht einmal wirklich anstrengen. 

Versuchungen wohnt immer das Moment des Machbaren, das Moment des Möglichen inne. Und weil für jeden Mensch etwas anderes machbar, etwas anderes möglich ist, daher sind Versuchungen sehr unterschiedlich, sehr individuell. Was für den einen eine große Versuchung darstellt, ist für den anderen vollkommen ungefährlich, weil es nicht im Rahmen seiner Möglichkeiten, weil es außerhalb seiner Reichweite liegt. Daher sind auch die Versuchungen Jesu, von denen der Predigttext berichtet, anders als unsere Versuchungen. Denn sie treffen, sie betreffen den Sohn Gottes. Da Jesus zugleich wahrer Mensch ist, ist er versuchbar wie wir. Aber da er eben auch wahrer Gott ist, sind ihm Dinge möglich, die für uns unmöglich sind. 

Wir Menschen könnten nicht damit in Versuchung geführt werden, Steine in Brot zu verwandeln, weil wir dies schlichtweg nicht vermögen. Aber der Gottessohn könnte es. Und er könnte damit seine Gottessohnschaft beweisen. Er könnte sich damit als der erweisen, der er ist, und zwar fernab von allem Leiden und Sterben.

Wir würden uns sicherlich auch nicht damit in Versuchung führen lassen, uns in die Tiefe zu stürzen – trotz des bekannten Wortes aus Psalm 91: „Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen; dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Denn wir wissen: Dieses Wort sagt uns zwar Gottes Schutz und Begleitung auf den Wegen unseres Lebens zu, aber wir können Gottes Eingreifen mit diesem Wort nicht erzwingen – schon gar nicht mutwillig. Anders der Gottessohn: Aufgrund seiner besonderen Gottesnähe könnte er Gott mit Hilfe der Schrift wohl zum Handeln zwingen und sich dadurch abermals als der beweisen, der er ist. Sich abermals als Gottessohn qualifizieren – wieder fernab von allem Leiden und Sterben.

Und schließlich stehen wir auch nicht in der Versuchung, die Weltherrschaft zu übernehmen. Der Gottessohn hat jedoch sogar Anspruch darauf. Und er ist nur einen Kniefall weit davon entfernt, dass dieser Anspruch unmittelbar Wirklichkeit wird – und zwar ganz ohne Kreuz, ganz ohne Schmerzen, ganz ohne Tod. Er muss nur das Knie beugen und den Versucher anbeten. 

„Yes We Can! – Ja, wir können es! Ja, wir könnten es!“ Das ist das eine Problem mit den Versuchungen. Ihre Machbarkeit. Und das andere Problem mit den Versuchungen lautet: „Ja, wir sollten es!“ Die Versuchung sagt: „Mach das, dann fühlst du dich besser. Dann bist du glücklicher. Dann kannst du endlich einmal zeigen, was in dir steckt, was du kannst und wer du bist. Du musst schließlich auf dich achtgeben. Und besonders musst du darauf achtgeben, dass du nicht zu kurz kommst im Leben. Dass du das Beste aus deinem Leben herausholst, es wirklich auskostest.“ Das Gefährliche an diesen und ähnlichen Sätzen ist, dass sie nicht ganz falsch sind. Ich muss ja wirklich auf mich achtgeben. Und ich darf mich im Leben auch nicht unterkriegen lassen. Ich soll ja mein Glück finden und meine Gaben und Fähigkeiten einsetzen. Es ist also gar nicht so falsch, was der Versucher sowohl Jesus als auch uns ins Ohr flüstert. Und daher ist es alles andere als leicht zu entscheiden – zu entscheiden, wo die Versuchung anfängt und was demgegenüber in Ordnung oder sogar geboten ist. 

Wie hat Jesus entschieden? Auf welcher Grundlage? Jesus weist jede Herausforderung bzw. jedes Angebot des Versuchers mit einem Wort aus der Bibel zurück. Wo das, was an ihn herangetragen wird, dem Wort Gottes zuwiderläuft, da muss es sich um eine Versuchung handeln. Das Problem ist jedoch, dass man sich für diese Art der Entscheidungsfindung ziemlich gut in der Bibel auskennen muss. Und das noch größere Problem besteht darin, dass sich der Versucher sehr gut in der Bibel auszukennen scheint. Denn er versucht Jesus mit einem Wort aus der Bibel selbst: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.‘“ Da muss man schon ganz schön bibelfest sein, um sich richtig zu entscheiden. 

Doch ich denke, dieser Weg ist trotzdem der richtige. Wir müssen uns ja nicht auf Diskussionen mit dem Versucher einlassen. Und wir müssen auch nicht die gesamte Bibel auswendig können. Es genügen schon ein paar Sätze, genauer gesagt: zehn Sätze – die Zehn Gebote. Und wenn diese zehn Sätze noch zu viel sind, dann genügt schon ein einziger Satz: Jesu Zusammenfassung der Zehn Gebote – das Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen und mit allen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Ich muss mir also nur die Frage stellen: „Liebe ich meinen Gott noch von ganzem Herzen und mit allen Kräften, wenn ich dieses oder jenes sage oder tue? Liebe ich meinen Nächsten noch wie mich selbst, wenn ich diese Herausforderung oder jenes Angebot annehme? Oder liebe ich dann etwas anderes mehr?“ Mit einer ehrlichen Antwort auf diese Frage wird uns die Entscheidung darüber, was von dem, das Tag für Tag an uns herangetragen wird, eine Versuchung ist und was nicht, zwar nicht abgenommen, aber doch erleichtert.

 

Wenn wir die Versuchung mit Hilfe der Zehn Gebote, mit Hilfe des Doppelgebots der Liebe als solche erkannt haben, ist sie aber leider noch nicht überwunden. Wir müssen ihr dann auch noch widerstehen. Und wie schaffen wir das? Ich denke, indem wir „Ja“ sagen – so wie Jesus. Ich denke, er hat die Versuchung überwunden, indem er „Ja“ gesagt hat – nicht zur Versuchung, sondern auf die Frage, die Gott ihm im Angesicht der Versuchung gestellt hat. Es ist die gleiche Frage, die Gott jedem im Angesicht der Versuchung stellt. Es ist die Vertrauensfrage. Und sie lautet: „Glaubst du, dass ich es gut mit dir meine? Glaubst du, dass ich dich liebe und dass ich dir daher alles zum Leben Notwendige zuteilwerden lasse? Glaubst du, dass ich die Dinge auch so regeln kann – ohne dass du der Versuchung nachgibst? Ohne dass du den leichteren oder direkteren Weg wählst? Glaubst du das? Vertraust du mir?“ 

Die Versuchung ist stark. Und sie weiß genau, wo wir schwach sind – zu schwach, um ihr aus eigenen Kräften zu widerstehen. Aber wir können „Ja“ sagen und uns dem in die Arme werfen, der es gut mit uns meint. Gott verspricht uns nicht das Blaue vom Himmel. Er verspricht uns keine Macht und Reichtümer, kein Leben ohne Angst und Sorgen. Er hat weder ewige Jugend noch immerwährende Schönheit für uns im Angebot. Gott ist längt nicht so schillernd wie die Versuchung. Er ist längst nicht so betörend wie sie. Aber er meint es gut mit uns. Die Frage ist nur: „Glaubst wir das?“ 

„Yes We Can! – Ja, wir können es!“ hat Barack Obama damals gesagt. Ja, wir könnten es – das ist das Problem bei der Versuchung. „Yes We Can! – Ja, wir können es!“ Wir können aber auch „Ja“ sagen – nicht „Ja“ zu Versuchung sagen, sondern im Angesicht der Versuchung „Ja“ zu Gott sagen, „Ja“ zum Vertrauen auf Gott. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Heiland und Herrn. Amen.