Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
haben Sie ein Vorbild? Laut dem Online-Lexikon Wikipedia ist ein Vorbild „eine Person, mit der ein – meist junger – Mensch sich identifiziert und dessen Verhaltensmuster er nachahmt oder nachzuahmen versucht.“ Habt ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, haben Sie eine solche Person?
Im heutigen Predigttext aus dem 3. Kapitel des Philipperbriefes bietet sich der Apostel Paulus als Vorbild an. Der Apostel Paulus schreibt:
„Folgt meinem Beispiel, Brüder und Schwestern! Nehmt euch die zum Vorbild, die so leben, wie ihr es an uns beobachten könnt“, sagt Paulus. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir den Apostel wirklich zum Vorbild nehmen möchte. Sicher, sein unermüdlicher Einsatz für das Evangelium, für die frohe Botschaft von Jesus Christus, ist vorbildlich. Ohne Paulus und seine Arbeit hätte sich das Christentum wahrscheinlich ganz anders entwickelt. Vielleicht hätte sich das Christentum auch gar nicht entwickelt. Vielleicht wäre es ohne ihn eine kleine Sekte in einer vom römischen Reich besetzen Provinz geblieben – irgendwo am Rande der Welt. Wir verdanken dem Apostel Paulus nicht nur die Entstehung zahlreicher christlicher Gemeinden und die Ausbreitung des christlichen Glaubens in der ganzen damals bekannten Welt. Wir verdanken ihm auch die theoretische Durchdringung unseres Glaubens sowie eine Antwort auf zahlreiche praktische Fragen der Gemeindegestaltung. Auch im Glauben selbst ist der Apostel Paulus vorbildlich. Er hat durch seinen Glauben zwar keine sprichwörtlichen Berge versetzt, aber Paulus hat im Glauben an Gott unendlich viele Hindernisse und selbst schwere Schicksalsschläge überwunden. Aber es gibt auch vieles, das mir an Paulus fremd ist und fremd bleibt. Seine Berufungsgewissheit mutet fast ein wenig unheimlich an. Und seine bisweilen selbstgerechte und überhebliche Art macht ihn nicht gerade sympathisch. Außerdem hat er in manchen Bereichen einen Hang zum Extremen, fast schon zum Fanatischen. Kann so jemand ein Vorbild sein?
Der Apostel Paulus war kein Superheld. Er war – trotz aller seiner Leistungen – ein Mensch wie wir. Und das heißt: Er hatte neben seinen zahlreichen Stärken auch die eine oder andere Schwäche. Er lag mit dem, wie er dachte und was er machte und sagte, manchmal auch daneben. Das gleiche gilt übrigens für Martin Luther. Der hat sich mit den Mächtigen und den Mächtigsten seiner Zeit angelegt – mit Kaiser und Papst. Er stand für seine Überzeugungen ein, obwohl es ihn unter Umständen das Leben hätte kosten können. Martin Luther hat das Gesicht Europas verändert – allein durch die Kraft seiner Worte. Er hat unsere deutsche Sprache maßgeblich geprägt. Und er hat eine geistliche Erneuerung, eine Reformation der Kirche bewirkt. Martin Luther hat aber auch wüste Beschimpfungen gegenüber Juden ausgestoßen. Er trug Mitschuld daran, dass Bauern niedergemetzelt wurden, die seine Worte von der Freiheit missverstanden hatten. Seine Toleranz gegenüber Andersdenkenden war nicht besonders ausgeprägt. Und er hat – freilich ungewollt – eine Spaltung der Kirche herbeigeführt.
Doch zurück zum Apostel Paulus. Der war – wie Martin Luther – kein Superheld. Und dennoch ist er für mich ein Vorbild. Paulus ist für mich ein Vorbild, weil er immer genau wusste, von woher er bestimmt ist, nämlich von Gott her. Und weil er immer genau wusste, worauf er ausgerichtet ist, nämlich ebenfalls auf Gott hin. Und genau darum geht es Paulus im heutigen Predigttext. Es geht ihm um eine Lebensführung, die ganz von Gott her bestimmt ist und die ganz auf Gott hin und auf ein Leben bei ihm hin ausgerichtet ist. Darin will Paulus Vorbild sein. Und darin ist er Vorbild. Paulus will uns mit seiner Ausrichtung auf Gott, mit seiner Ausrichtung auf ein Leben bei ihm, in Gottes Ewigkeit nicht auf ein besseres Jenseits vertrösten. Es geht Paulus nicht darum, sich von dieser Welt abzuwenden. Es geht ihm nicht darum zu versuchen, dieser Welt zu entfliehen. Im Gegenteil: Als Christinnen und Christen sollen wir ganz im Hier und Jetzt leben. Wir sollen das Leben hier und jetzt anpacken – mit allem, was dazugehört. Aber eben nicht irgendwie. Nicht um jeden Preis. Und auch nicht ohne Rücksicht auf Verluste. Sondern mit Blick auf Gott – von ihm her bestimmt und auf ihn hin ausgerichtet.
Wenn man sein Leben von Gott bestimmen und auf ihn ausgerichtet sein lässt, dann ist das Leben einerseits schwerer. Denn gewisse, mitunter sehr populäre Lebensstile sind schlichtweg nicht mit Gott vereinbar. Man muss dann unter Umständen auch einmal deutlich „Nein“ sagen oder „Da mache ich nicht mit“ oder „Nicht mit mir“. Andererseits ist ein von Gott bestimmtes und auf ihn ausgerichtetes Leben auch einfacher. Denn es hat eine Richtung und ein Ziel, es hat eine Orientierung. Es orientiert sich an Gottes Wort, an seinem Willen und an seinen Geboten. Und es orientiert sich am Vorbild Jesu Christi – also an der Liebe.
Und dann gibt es noch etwas, worin mir der Apostel Paulus ein Vorbild ist: Paulus konnte „sich genügen“ lassen. Davon schreibt er der Gemeinde in Philippi kurz nach dem heutigen Predigttext. Da sagt er: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ Paulus hat in seinem Leben gelernt, „sich genügen“ zu lassen. Er hat damit nicht gelernt, auf alles zu verzichten, nichts mehr zu brauchen, sich nichts mehr zu gönnen, sich an nichts mehr zu erfreuen. Sondern Paulus hat gelernt, „sich genügen“ zu lassen an dem, was er gerade hat. Das war das eine Mal mehr und ein anderes Mal weniger, bisweilen auch ganz wenig oder fast gar nichts. Paulus hat gelernt, mit jeder Situation im Leben zurecht zu kommen – nicht irgendwie, sondern im Vertrauen auf Gott. Im Vertrauen darauf, dass Gott ihm die Kraft dazu gibt. Im Vertrauen darauf, dass Gott bei ihm ist und dass er daher diese Situation nicht allein durchstehen muss.
In dieser Hinsicht ist mir noch jemand anderes zum Vorbild geworden. Der eine oder andere von Ihnen mag ihn kennen, denn ich habe schon einmal von ihm erzählt. Sein Name war Martin. Er war kein Martin Luther und auch kein Sankt Martin, aber er war für mich ein ganz besonderer Martin. Er war – wie man früher sagte – „Knecht“ auf einem Bauernhof und besuchte die gleiche Gebetsstunde wie meine Oma. Ich habe ihn bis zu seinem Tod regelmäßig besucht. Und immer wenn ich ihn fragte: „Martin, wie geht es dir?“ – und es ging ihm manches Mal nicht gut, bekam ich die Antwort: „Mit dem Herrn Jesus geht es.“ Martin konnte sich – wie der Apostel Paulus – genügen lassen. Egal, ob es viel oder wenig war, was er gerade hatte. Denn Martin war sich – wie der Apostel Paulus – gewiss: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht: Jesus Christus.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus, unserem Heiland und Herrn. Amen.