Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Matthäusevangelium im 13. Kapitel:
Jesus sprach zu seinen Jüngern:
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
46 und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Herr, öffne unsere Herzen, dass wir dein Wort verstehen und aus ihm leben lernen. Amen.
Liebe Gemeinde,
Sie alle kennen das Sprichwort: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“ Meistens wird es ein wenig abwertend verwendet – nach dem Motto: „Wenn ein Mensch etwas unbedingt will, dann hindere ihn nicht daran. Es ist zwecklos.“ Doch stimmt dieses Sprichwort? Erlebe ich wirklich das Himmelreich, erlebe ich ein Stückchen Himmel auf Erden, wenn ich meinen Willen bekomme? Sicher ist es bequem für mich, wenn ich meinen Willen bekomme. Ich muss dann nicht umdenken oder umplanen und auch keine mitunter mühsamen Kompromisse finden. Vielleicht verschafft es mir auch eine gewisse Genugtuung, wenn ich meinen Willen bekomme. Aber erlebe ich dadurch das Himmelreich, ein Stückchen Himmel auf Erden?
Wenn man die beiden kleinen Gleichnisse, die Jesus einmal erzählt hat, betrachtet, könnte man das glatt meinen. Denn die beiden Männer, von denen da berichtet wird, bekommen ihren Willen. Sie bekommen das, was sie unbedingt wollen. Der eine bekommt den Acker mit dem Schatz, der andere die kostbare Perle. Doch soll das tatsächlich das Himmelreich sein, der Himmel auf Erden? Was ist dann mit denen, die nicht oder nie ihren Willen bekommen? Die mit ihren Wünschen und Bedürfnissen, ihren Träumen und Plänen hinten runter fallen oder auf der Strecke bleiben? Ist das Himmelreich für sie dann unerreichbar oder zumindest in weiter Ferne?
Für mich hat das Himmelreich, das Stückchen Himmel auf Erden, von dem Jesus hier erzählt nichts mit dem Willen der beiden Männer zu tun, sondern mit einer ganz bestimmten Fähigkeit, die beide ganz offensichtlich beherrschen. Die beiden Männer können loslassen und zupacken.
Die beiden können einerseits loslassen. Sie verkaufen alles, was sie haben. Sie trennen sich damit sicherlich auch von vielem, was ihnen wichtig, unter Umständen sogar sehr wichtig ist. Und dann packen sie zu. Der eine kauft den Acker mitsamt dem Schatz, der andere erwirbt die kostbare Perle. Beide haben sie eine Chance – vielleicht sogar eine einmalige Chance. Und sie nutzen sie. Zuerst begreifen sie die Möglichkeit, die sich ihnen bietet, und dann ergreifen sie sie. Anscheinend ohne lange darüber nachzudenken. Wahrscheinlich auch, ohne vorher sämtliche Risiken zu bedenken. Sie packen einfach zu. Und erleben allem Anschein nach ein Stückchen Himmel auf Erden.
Dazu ermutigt Jesus die Menschen damals und uns heute. Er ermutigt uns nicht dazu, unseren Willen durchzusetzen – mit allen Mitteln. Koste es, was es wolle. Sondern er ermutigt uns dazu, uns im Loslassen und Zupacken zu üben. Und dabei unser ganz persönliches Stückchen Himmel auf Erden zu erleben.
Ich denke, das Loslassen muss nicht unbedingt in der Radikalität dieser beiden Männer erfolgen, die alles verkaufen, was sie haben. Aber ohne Loslassen wird es mit dem Stückchen Himmel auf Erden wohl auch nicht klappen. Es wird zum Beispiel nicht klappen, ohne dass ich den Blick auf die Vergangenheit und auf Vergangenes loslasse. Den Blick auf Beziehungen, die endgültig zerbrochen sind. Den Blick auf Kräfte, die unwiederbringlich verloren sind. Den Blick auf Zeiten, die vorbei sind und die definitiv nicht mehr wiederkommen werden. Dieses Loslassen bedeutet nicht, alle Brücken hinter sich abzubrechen. Es bedeutet nicht, sich überhaupt nicht mehr zu erinnern. So zu tun, als ob nichts geschehen wäre oder als ob jemand nie dagewesen wäre. Sondern es bedeutet abzugeben. Etwas so weit abzugeben, dass es weitergehen kann. Dass man irgendwann den blauen Himmel wieder sieht. Als Christinnen und Christen lassen wir Menschen und Dinge los, indem wir sie an Gott abgeben. Indem wir sie Gott in die Hände geben – im Gebet. Wir können sie also getrost loslassen – in dem Vertrauen, dass nichts und niemand jemals ins Leere fällt.
Und nach dem Loslassen kommt dann das Zupacken. Loslassen und Zupacken sind wie die zwei Seiten der gleichen Medaille. Ich packe zu bei dem, was das Leben mir bietet. Ich packe zu bei dem, was das Leben für mich bereithält – noch immer. Und immer wieder. Ich packe zu bei dem, was Gott für mich bereithält. An Möglichkeiten und Chancen, an Begegnungen und Beziehungen, an Aufgaben und an Hilfen. Das Zupacken klappt natürlich nur, wenn ich die Hände frei habe. Ich kann nur zupacken, wenn ich vorher losgelassen, wenn ich vorher abgegeben habe. Aber wenn ich das getan habe, dann soll ich nicht mit leeren Händen dastehen, sondern ich darf neu zupacken. Manchmal auch ohne lange darüber nachzudenken. Ohne erst sämtliche Risiken, Hindernisse und Unwägbarkeiten bedacht zu haben.
„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“, heißt das bekannte Sprichwort. Ich glaube nicht, dass das so ist. Ich glaube vielmehr: Des Menschen Fähigkeit zum Loslassen und Zupacken, das ist sein Himmelreich, sein ganz persönliches Stückchen Himmel auf Erden.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Heiland und Herrn. Amen.