Predigt am 13. Oktober 2024

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Liebe Gemeinde, 

wie wird man glücklich? Man könnte „Google“ fragen. Man könnte bei der Internetsuchmaschine „Google“ die Frage „Wie werde ich glücklich?“ eingeben und würde in Sekundenbruchteilen unzählige Treffer angezeigt bekommen. Dann müsste man nur noch zwischen den aufgeführten Artikeln, Büchern, Ratgebern, Fortbildungen, Videos und Blogs auswählen und die entsprechende „Anleitung zum Glücklichsein“ befolgen. Das wäre eine Möglichkeit. Man könnte sich aber auch den heutigen Predigttext zu Herzen nehmen. Der ist nämlich ebenfalls eine „Anleitung zum Glücklichsein“. Verfasst hat sie der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth im 7. Kapitel. 

Der Apostel schreibt:

29 Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Auch sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine;

30 und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht;

31 und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.

Nun ist der Apostel Paulus nicht gerade als Experte für das Glücklichsein bekannt. Nicht dass er in seinem Leben nicht glücklich gewesen wäre, aber er gilt eher als Experte für das Christsein. Im heutigen Predigttext kommt nun beides zusammen. Paulus beschreibt darin eine Lebenshaltung, die Christinnen und Christen gut zu Gesicht steht. Und diese Lebenshaltung hat außerdem das Potential, glücklich zu machen. 

Doch um welche Lebenshaltung geht es dem Apostel? Jemand hat sie einmal mit den Worten zusammengefasst: „Haben, als hätte man nicht.“ Man soll in einer Beziehung stehen, als stünde man nicht in ihr. Man soll weinen, als weinte man nicht, und sich freuen, als freute man sich nicht. Man soll kaufen, als behielte man das Gekaufte nicht, und die Welt gebrauchen, als brauchte man sie nicht. Kurz: Man soll haben, als hätte man nicht. Aber was soll das bedeuten? Was ist damit gemeint? 

Es ist nicht damit gemeint, nur zu tun „als ob“. Nur zu tun, als ob man liebt, als ob man weint, als ob man lacht, als ob man kauft, als ob man etwas besitzt oder braucht. So nicht. Denn das Leben ist kein Theaterstück, und Christinnen und Christinnen sind keine Schauspieler. Es ist damit auch nicht gemeint, auf alles zu verzichten, also nichts zu haben. Einen solchen Ratschlag würde man von dem Apostel Paulus vielleicht erwarten – einen Rat wie: „Verzichte auf alles, verzichte auf Ehe und Partnerschaft, verzichte am besten ganz auf Beziehungen, auf Gefühle und Emotionen, verzichte auf Besitz und Konsum, dann wirst du glücklich!“ Doch das ist im Predigttext nicht gemeint. Im Gegenteil, der Apostel Paulus sagt hier ausdrücklich: „Ihr dürft haben. Ihr dürft heiraten, ihr dürft in Beziehungen leben, ihr dürft lachen und weinen, ihr dürft kaufen und verbrauchen. Nur wenn ihr dabei glücklich, wirklich glücklich werden wollt, denn dürft ihr an dem, was ihr habt, nicht hängen. Dann dürft ihr an dem, was ihr habt, nicht hängen bleiben. Denn dürft ihr von dem, was ihr habt, nicht immer und immer mehr haben wollen. Sondern ihr müsst in der Lage sein, das, was ihr habt, auch wieder loszulassen. Oder anders ausgedrückt: Ihr müsst haben, als hättet ihr nicht.“ 

Etwas zu haben und das, was man hat, in vollen Zügen zu genießen, aber nicht daran zu hängen, nicht daran hängen zu bleiben, nicht immer und immer mehr davon haben zu wollen, sondern es auch wieder loslassen zu können, darin besteht nach Paulus die große Kunst. Darin besteht für ihn das Glücklichsein. Doch warum sollte diese Haltung, diese Lebenshaltung glücklich machen? Weil sie frei macht. Weil diese Haltung frei macht, ganz im Hier und Jetzt zu leben, in der Gegenwart. Sich ganz auf den Moment, auf den Augenblick, auf das Erleben selbst zu konzentrieren und es zu genießen. Ohne in Gedanken noch an dem zu hängen, was man gestern hatte und was eventuell noch viel größer und schöner war. Und ohne schon an das zu denken, was man morgen vielleicht haben wird – oder auch nicht oder nicht mehr. 

Ganz im Hier und Jetzt leben, in der Gegenwart – diese Haltung ist übrigens etwas anderes als das gängige Motto: „Lebe, als gäbe es kein Morgen!“ Denn es geht nicht darum, die Gegenwart bis an den Rand und darüber hinaus zu füllen – irgendwie und koste es, was es wolle. Es geht nicht darum, immer mehr in einen Moment, in einen Augenblick, in das Leben selbst hineinzupacken, um ja nichts zu verpassen. Das macht das Glücklichsein für Paulus nicht aus. Sondern, es geht darum: Das, was man hat, in dem Moment, in dem man es hat, auch wirklich zu haben, es auch wirklich zu erleben, es auch wirklich zu genießen. Egal, ob dieses Etwas nun viel oder wenig, groß oder klein ist. 

Etwas zu haben, aber nicht daran zu hängen, nicht daran hängen zu bleiben, nicht immer und immer mehr davon haben zu wollen, sondern es auch wieder loslassen zu können – diese Haltung macht auch deshalb glücklich, weil sie gelassen macht. Wenn ich etwas habe, es auch in vollen Zügen genieße, aber nicht um jeden Preis daran hänge, dann muss ich mich nicht ständig davor fürchten, dass ich es wieder verlieren könnte. Ich muss es auch nicht mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln, nicht mit Zähnen und Klauen verteidigen. Sondern ich kann gelassen bleiben. Und schließlich: Wenn ich etwas habe, es auch in vollen Zügen genieße, aber nicht um jeden Preis immer und immer mehr davon haben muss, dann muss ich es auch nicht horten, sondern ich kann davon abgeben. Ich kann es mit anderen teilen und damit auch sie glücklich machen. Und Sie kennen alle den bekannten Poesiealbum-Spruch:

„Willst du glücklich sein im Leben,

trage bei zu andrer Glück;

denn die Freude, die wir geben,

kehrt ins eigene Herz zurück.“ 

Warum ist diese Haltung, diese Haltung des „Haben, als hätte man nicht“ aber nun christlich? Weil sie mich Gott näher bringt. Denn wenn in meinem Herzen weniger Sorge, weniger Angst ist um das, was ich habe, dann bleibt in meinem Herzen mehr Platz für Gott. Mehr Platz für mein Vertrauen auf ihn. Diese Haltung des „Haben, als hätte man nicht“ ist auch deshalb christlich, weil sie daran erinnert, dass wir alles, was wir sind und haben, letztlich nicht uns selbst zu verdanken haben, sondern Gott. Wir mögen dazu beigetragen haben mit unserer Arbeit, mit all unserem Planen und Machen und Tun, aber letztlich ist all unser Sein und Haben ein Geschenk – ein Geschenk Gottes. Er hat uns in dieses Leben hineingerufen. Er hat unser Leben bis hierher erhalten und er wird es auch weiterhin erhalten. Er wird unser Leben sogar durch den Tod hindurch und über den Tod hinaus erhalten. 

Gott hat uns das Leben gegeben. Er hat uns auch alles gegeben, was wir zum Leben brauchen – oft sogar mehr als das. Und er wird auch weiterhin für uns sorgen. Vielleicht werden wir nicht immer alles haben, was wir uns wünschen, was wir gerne hätten oder was wir zu verdienen meinen. Aber wir werden das haben, was wir zum Leben brauchen. Und deshalb müssen wir uns nicht sklavisch festhalten an dem, was wir haben, sondern können es „haben, als hätten wir es nicht“. Denn wir haben ja Gott – Gott, der uns hält, der uns fest in seinen Händen hält. 

Der Schriftsteller Hanns Dieter Hüsch hat die Haltung des „Haben, als hätte man nicht“ für mich einmal wunderbar in Worte gefasst hat:

„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.

Gott nahm in seine Hände meine Zeit,

mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,

mein Triumphieren und Verzagen,

das Elend und die Zärtlichkeit.“

 

Hanns Dieter Hüsch hätte auch sagen können:

„Ich bin glücklich.

Gott nahm in seine Hände meine Zeit,

mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,

mein Triumphieren und Verzagen,

das Elend und die Zärtlichkeit.“

 

Gott sei Dank! 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus, unserem Heiland und Herrn. Amen.