Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
I
„In rechter Ordnung lehre Jesu Passion“ - mit diesem Spruch habe ich als Konfirmandin die Sonntage der Passionszeit auswendig gelernt. In rechter Ordnung lehre Jesu Passion - Invocavit, Reminiszere, Okuli, Lätare, Judika und dann der Palmsonntag. Die Sonntage der Passionszeit tragen besondere Namen und haben ihre jeweils eigene besondere Bedeutung - hierdurch wird die Wichtigkeit der Passionszeit erkennbar. Und natürlich auch durch den Verzicht vieler auf Schokolade, Alkohol oder Fleisch. Bis Ostern, bis zum Tag der Auferstehung. Der aber für mich, die in diesem Jahr auf Schokolade und Haribo verzichtet, noch in gaaaanz… weiter Ferne zu liegen scheint.
Ich erinnere mich an ein Jahr, in dem ich auf Kaffee verzichtet habe. Als jemand, der wirklich gerne und auch viel Kaffee trinkt, ist diese Fastenzeit sehr unangenehm gewesen. Wie kommt man sonst morgens in die Gänge? Und was macht man dann nachmittags gegen 15 Uhr, wenn der Kaffeedurst kommt? Einen Früchtetee trinken?
Der Verzicht auf Kaffee oder Schokolade oder Fleisch ist nicht leicht. Fasten macht keinen Spaß - aber ich mache es ja auch nicht zum Spaß. Sondern um mein ganzes Ich, meinen Geist und meinen Körper, daran zu erinnern, was Jesus für uns getan hat, als er den Weg zum Kreuz ging. Von Kopf bis Fuß möchte ich diese 7 Wochen dem widmen, der für mich starb, damit ich leben kann.
Das sage ich mir oft in diesen 7 Wochen des Verzichts. Besonders dann, wenn jemand mir was Süßes anbietet. Die Versuchungen sind groß.
II
Die Versuchungen sind das Thema des heutigen ersten Sonntages in der Passionszeit. Der Predigttext für heute steht im Hebräerbrief im 4. Kapitel:
14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. 15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 16 Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.
Der Text aus dem Hebräerbrief beginnt mit bekräftigenden Worten: Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Es ist eine Aufforderung: Lasst uns - lasst uns gemeinsam. Als Gemeinschaft, als Gemeinde. Wir Christen brauchen die Gemeinde. Weil wir [alle zusammen!] denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat. Unser oberster Hohepriester heißt Jesus Christus - nicht unser Chef, nicht unser König, sondern Hohepriester. Es ist eine religiöse Amtsbezeichnung, die hier verwendet wird. Ein Priester, der vor Gott für uns eintritt. Für uns - auch hier wieder das gemeinschaftliche. Unser einer Hohepriester tritt für uns alle ein.
Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Er, der zur Rechten Gottes sitzt, der für uns vor Gott eintritt, der versteht uns Menschen, weil er selber Mensch war. Er war hier auf der Erde Versuchungen ausgesetzt, Verlockungen, Reizen, Überredungskünstlern. Doch im Gegensatz zu uns hat er nie gesündigt - und im Umkehrschluss können wir hier lesen: Wir alle haben schon einmal gesündigt. Wir alle konnten schon mal einer Versuchung nicht widerstehen und haben uns vom Bösen verlocken lassen.
Und damit ist nicht gemeint, dass man doch das eine Stückchen Schokolade in der Fastenzeit gegessen hat. Damit ist auch nicht das Gläschen Sekt gemeint, das man sich genehmigt hat. Sünde ist etwas ganz anderes: Nämlich das Abwenden von Gott. Und damit das Zuwenden zum Bösen in der Welt. Sünde ist, was unserem Leben schadet. Was nicht in den Bereich Gottes gehört. Wo unser Gewissen, das Gott uns gegeben hat, laut aufschreit – und wir es trotzdem tun. Oder eben nicht. Sünde kann auch sein, dass man nicht mehr betet. Sünde kann auch sein, dass man nicht mehr in die Kirche geht. Sünde ist, was unserem Leben schadet und uns von Gott entfernt.
Jesus hat nie gesündigt. Hier ist die Bibel ganz klar und eindeutig. Jesus hat sich nie von Gott abgewendet, nicht mal in seinem letzten Stündchen am Kreuz. Wir schon. Wir alle. Wir alle konnten schon mal einer Versuchung nicht widerstehen und haben uns vom Bösen verlocken lassen.
III.
Und nun? Was nun? Was heißt mein Moment der Schwäche für meine Beziehung zwischen Gott und mir? Der Text sagt es uns: Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit. Oder, in einem etwas moderneren Deutsch: Jesus Christus tritt für uns ein. Durch ihn, allein durch ihn und seinen Tod am Kreuz, dürfen wir auch in unserer Schwäche mit Zuversicht und ohne Angst zu Gott kommen. Er wird uns seine Barmherzigkeit und Gnade zuwenden.
Deshalb heißt der heutige Sonntag „Invokavit“. Es ist die lateinische Übersetzung eines Wortes aus Psalm 91, den wir vorhin gemeinsam gebetet haben. Dort heißt es: „Wenn wir ihn anrufen, dann hört er uns.” Invokavit.
Und das sollen wir eben genau in unseren ganz schwachen Momenten machen. In den Momenten, in denen wir uns von Gott abgewendet haben, in denen wir sündigen. Dann sollen wir ihn anrufen und um Verzeihung bitten.
Wenn wir Gott anrufen, dann hört er uns. Und dann wird er sich uns in seiner Barmherzigkeit und Gnade zuwenden, das ist die Zusage des Hebräerbriefs. Denn Jesus, der Sohn Gottes und himmlische Hohepriester, hat die Himmel durchschritten und hat durch uns durch seine Selbsthingabe den einen Weg in die unmittelbare Nähe Gottes eröffnet. Der Weg zu Gott ist für uns Menschen dank Jesus Christus geebnet.
IV.
Wie vielen Menschen begegnet man jedoch, die von Angst und Zweifel, von Schwäche und Mutlosigkeit gezeichnet sind. Ja, für viele Menschen scheint der Himmel leer und verloren. Sie sehen nur Böses und Schlechtes in der Welt und in den Menschen dieser Welt. Diesen wünsche ich, dass sie diesen Worten Vertrauen schenken und dass sie dadurch neue Hoffnung finden. Ohne Gott wären wir verloren. Ohne seinen Sohn Jesus Christus wären wir alle Sünder ohne Chance auf Vergebung oder Neustart. Deshalb: Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis, weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat.
Lasst uns festhalten am Bekenntnis – und lasst es und gemeinsam tun. Wir alle sind Sünder. Und gleichzeitig sind wir alle durch unsere Taufe gerecht gesprochen - und über uns steht nur der eine Hohepriester, Jesus Christus.
Wir alle sind dazu aufgefordert, in unserem Leben so zu leben, wie er es vorgemacht hat - und wir alle sind dazu aufgefordert, seine Botschaft in die Welt hinauszutragen! Wir sollen von Jesus erzählen - wir dürfen von ihm erzählen - wir müssen von ihm erzählen! Wie könnten wir es für uns behalten! Es gibt einen Ausweg aus dem Sumpf der Sünde. Es gibt ein Leben an der Seite von Gott.
Und in diesem Glauben ist es dann auch viel einfacher, den bösen Versuchungen standzuhalten. Denn Jesus, der selbst vom Teufel versucht wurde, tritt für uns ein. Lasst uns also mit diesem Wissen voller Vertrauen in die Passionszeit gehen und immer daran denken, was uns zugesagt ist: Invokavit - „Wenn wir ihn anrufen, dann hört er uns.”
Amen.